Chicago 2013:
68 Jahre nach Ende des 2. Weltkriegs möchte Lena Woodward, geborene Scheinmann endlich ein Versprechen einlösen. Sie will Karolinas Zwillinge finden.
Dazu sucht sie sich Hilfe beim Ermittler Liam Taggart und seiner Frau, der Anwältin Cathrine Lockhart. Stück für Stück erzählt Lena ihre Geschichte, die in Polen in den 30iger Jahren beginnt. Sie berichtet, wie Deutschland Polen überrollt und unter seine Kontrolle bringt.
Da die Familie dem jüdischen Glauben angehört, gelten für sie auch alle Gesetze, die gegen jüdische Menschen erlassen werden. Als die Familie aus ihrem Haus vertrieben und auseinander gerissen wird, muss Lena jeden Tag aufs Neue Entscheidungen treffen. Eine Jugendliche, die bisher behütet aufgewachsen ist und nun alleine in den Wirren des Krieges gefangen ist. Die Bedingungen verschärfen sich und gemeinsam mit Karolina, ihrer Freundin aus Kindheitstagen kämpft sie ums Überleben. Als Karolina schwanger wird und Zwillinge zur Welt bringt, wissen beide, dass den zwei Mädchen wahrscheinlich kein langes Leben beschert sein wird.
Verlag: atb Aufbau Verlag
Seitenanzahl: 448 Seiten
Erscheinungsdatum: August 2017
Wie hat es mir gefallen?
Mir fehlen die richtigen Worte. Ich befürchte, ich kann
niemals genau beschreiben, warum ich diese Geschichte so beeindruckend fand.
Ein kleiner Exkurs:
Ich bin 1971 in Österreich geboren und 1988 war das
Gedenkjahr „50 Jahre Einmarsch Hitlers in Österreich“ ein großes Thema. Meine
Generation, ist die erste, die über den 2. WK unterrichtet wurde. Das Land
begann damals seine Rolle neu zu überdenken. Neue Informationen über Mitläufer
und Täter kamen ans Licht.
Da meine Mama aus Frankreich stammt, durfte ich noch eine
andere Sichtweise kennenlernen. Gleichzeitig unterrichtete sie Geschichte und
somit waren meinem Wissensdurst keine Grenzen gesetzt.
Ich wollte unbedingt wissen, warum es soweit kommen konnte,
dass normale Menschen zu Monstern wurden und warum, die Bevölkerung sich nicht
gegen dieses Regime auflehnte. Ich las unzählige Tatsachenberichte und auch
Romane. Ich ging sogar soweit, in den Tiroler Archiven zu forschen, um Überlebende
des Holocaust zu finden. Ich durfte ein paar persönlich kennenlernen und habe
Geschichten gehört, die mich entsetzt, berührt und betroffen gemacht haben.
In dieser Zeit gab es auch jede Menge Dokumentationen! Was
Schilderungen und Beschreibungen nicht erfassen konnten, ergänzten Bilder. Das
war eine ganz neue Dimension der Grausamkeit.
Damals glaubte ich noch daran, dass die Menschheit aus ihrer
Geschichte lernen kann, als es dann während des Jugoslawien-Kriegs wieder
Konzentrationslager gab, schloss ich vorübergehend dieses Kapitel ab.
Erst langsam traute ich mich wieder an dieses emotionale
Thema heran. Nach dem Roman „Die Bücherdiebin“
von Markus Zusak begann ich mit „Sarahs Schlüssel“ von Tatjana de Rosnay wieder
über diese Zeit zu lesen. Als ich in Paris war, musste ich mich auf die Spuren
von „Rafle du Vélodrome d’Hiver“ begeben. Am 16. Und 17. Juli 1942 wurden die
Juden Paris in dem Velodrom zusammen gepfercht und mussten dort tagelang ohne
Versorgung aushalten, bevor sie in Vernichtungslager im Osten verfrachtet
wurden. Unverhältnismäßig viele Frauen und Kinder fielen der Razzia zum Opfer.
Die französische Polizei half tatkräftig mit. Ein Kapitel in der Geschichte
Frankreichs, das niemand gerne erwähnt.
Ihr seht, ich befasse mich schon recht lange mit dem
Holocaust und dem 2. WK, jedoch nur mehr in geringen Dosen, denn es erschüttert
mich auch heute, über diese Zeit zu lesen.
Mit „Karolinas Töchter“ fand ich ein Buch, das ein wahrer Schatz
in meinem SuB war.
Das Augenmerk liegt natürlich auf Lena und ihrer Geschichte
rund um ihre Freundin Karolina. Ich weiß nicht, ob es an der Übersetzung liegt
oder die Sprache auch im Original eher einfach ist. Damit meine ich, dass es
keine, unendlich langen, in einander verschachtelte Sätze gibt. Diese direkte
Schreibweise unterstreicht die Erzählung und die Eindringlichkeit der
Ereignisse. Jeder überlebte Tag ist ein Erfolg und Widerstand gegen die Nazis.
Doch in der Grausamkeit des Alltags gibt es auch winzig
kleine Lichter der Hoffnung. Ein Gebet mitten in der Hölle, ein Stück Obst von
einem jungen Mann oder ein angebotener Schlafplatz in einer kleinen Nische.
Die Suche nach Karolinas Töchter nimmt auch den größten Teil
der Geschichte ein. Liam und Cathrine werden schnell von Lenas Erzählungen in
den Bann gezogen. Zwar ist die Dame bereits 89 Jahre alt, aber ihr Gedächtnis
scheint völlig in Ordnung zu sein. Ihr Sohn Arthur zweifelt ihre geistige
Gesundheit jedoch stark an und glaubt, sie leide an Altersdemenz. Auf seine
eigene Art und Weise möchte er seine Mutter beschützen, aber manchmal hätte ich
ihm liebend gerne eine Kopfnuss verpasst. So beginnt auch noch ein Wettlauf
gegen die Zeit, um die Entmündigung Lenas
zu verhindern.
Mit diesen zwei Handlungssträngen, die sich abwechseln, hält
Ronald H. Balson die Spannung ständig aufrecht. Denn Liam und Cathrine fühlen
sich für Lena verantwortlich. Sie versuchen alles, dass sie ihr Versprechen halten
kann. Aber die Zeit drängt gnadenlos. So viele Jahre nach Ende des Kriegs wird
es fast unmöglich, Beweise und Hinweise zu finden.
In seiner Widmung bedankt sich der Autor bei Fay Scharf
Waldman, deren Geschichte er in diesem Roman erzählt. Einzig die Ereignisse in
Chicago sind erfunden und haben mit Fay überhaupt nichts zu tun. Vielleicht
könnte in Schulen dieses Buch gelesen werden, um somit einen Teil zur Bildung
rund um den Holocaust beizutragen.
Wer „Die Nachtigall“ von Kristin Hannah mochte, wird dieses
Buch genauso gerne lesen. Wobei „gerne“ nicht das passende Wort ist. Ich lege
es euch ans Herz. Lasst euch auf Lena und Karolinas Geschichte ein.
Weitere Bücher des Autors:
"Saving Sophie"
"Once we were brothers"
Ich habe bereits beim Aufbau Verlag nachgefragt, ob die Bücher noch übersetzt werden. Antwort steht aus!
Weitere Leserstimmen:
Claudia von Miss Norge's Boker-Welt
Liebe Marie,
AntwortenLöschenich habe das Buch diese Woche gelesen und bin nicht ganz so euphorisch darüber. Anfangs hatte ich etwas Probleme mit den distanzierten Schreibstil. Dann fielen mir ein paar Fehler auf: Mauthausen liegt nördlich von Ausschwitz...falsch!, wie kann man in einem Ghetto, wo niemand etwas zum Heizen hat im Winter einen Ofen benutzen, ohne dass man den Rauch aufsteigen sieht? Das waren nur ein paar Dinge.
Generell fand ich besonders den Teil in Ausschwitz und der Zugfahrt sehr berührend. "Die Nachtigall" hat mir aber um einiges besser gefallen.
Liebe Grüße
Martina
Hallo Martina,
Löschendiese Fehler sind mir auch aufgefallen, aber da es sich hier nicht um einen Tatsachenbericht handelt, sondern um einen Roman, kann ich darüber hinweg sehen.
Mich hat die anfangs ein wenig distanzierte Erzählweise ein wenig befremdet, aber im Endeffekt war es genau das, was die Erzählung so eindringlich gemacht hat.
LG
Marie
Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.
AntwortenLöschenLiebe Marie,
AntwortenLöschenwas für eine bewegende Rezension. Dieses Buch ist genau das, was ich gern lese, denn mich bewegen eben auch heute noch die Beweggründe, wie das damals alles geschehen konnte.
Viele liebe Grüße
Anja
Hi Anja,
LöschenIch kann das Buch nur empfehlen und ans Herz legen. Es mögen sich zwar ein paar Fehler eingeschlichen haben, aber dennoch empfand ich die Geschichte als sehr berührend.
LG
Marie
selten ein so gutes Buch gelesen - auch ich würde mich freuen wenn es seine andereb Bücher auch in Deutsch gäbe
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